LIBYEN 2011 - Die Stille des Krieges

Photographien aus dem Bürgerkrieg in Libyen


Das Titelbild zeigt die zusammengeschossenen Häuserruinen einer der Hauptstrassen von Sirte, die sich wie in einer Lagune spiegeln, die geborstenen Wasserleitungen gebildet haben.  Bei der Ausstellung dieser Photographien in einer Galerie steuerte eine ältere Dame auf das Bild zu, sie hatte ihre Brille noch nicht aufgesetzt, und murmelte spontan "Venedig", bevor sie erschrak, das Bild durch die Brille sah und erkannte, dass es nur eine sehr verschwommene Ähnlichkeit mit dem malerischen Venedig hatte, das sie kannte. Ich gestehe, es war mir - mit Brille - ähnlich ergangen, als ich im zerstörten Sirte vor der realen Sezenerie stand - dem Zerrbild "Venedigs".


Der Bilderzyklus "Die Stille des Krieges" entstand während mehrerer Reisen zwischen Februar und November 2011 während der Aufstände gegen das Ghadhafi-Regime in Benghasi, Misrata, Tripolis, Sirte und anderer Frontabschnitte dieser "arabischen Revolution".






Trümmerlandschaften

Häuserruinen und ausgestorbene Straßen,

sie zeigen nicht den unmittelbaren Akt der Zerstörung, auch nicht die hier getöteten, verwundeten oder traumatisierten Opfer. Sie zeigen die schreckliche Stille im „Auge des Orkans“. Eine Szenerie, aus der die Menschen wie ausradiert wirken. Zerbro-chene Mauern und zerfetzte Metallmasten zeu-gen von der Wucht des Granaten- und Kugelhagels, dem die Bewohner über Tage, Wochen, Monate ausgesetzt waren. Eine geborstene Landschaft, gespenstisch durch die Parallelität von Stille und vehe-menter Zerstörungskraft. Es ist die Ästhetik, das Empfinden einer auf den Kopf gestellten Normalität, die den Betrachter hier gefangen nimmt, so, wie es auch dem Photographen geschehen ist.


Die meisten Aufnahmen stammen aus den beiden libyschen Küstenstädten Misrata und Sirte, deren Zerstörung viel über den Bürgerkrieg in Libyen aussagt.

Das Zentrum der libyschen Hafenstadt Misrata, sozusagen das libysche „Hamburg“, wurde von den Truppen des Ghadhafi-Regimes monatelang belagert und mit schwerer Artillerie und Raketen regelrecht zusammengeschossen. Die Tripolis-Straße, wo viele der Bilder entstanden sind, war lange Zeit die Frontlinie mitten durch die Stadt. Hier wurden im April 2011 der britische Photo-graph Tim Hetherington und sein amerikanischer Kollege Chris Hondros von Granatsplittern getrof-fen und tödlich verletzt.

  

Der Aufstand der Bürger dieser wichtigen Stadt war dem Regime ein besonderer Dorn im Auge. Es versuchte, sie mit allen Mitteln einzunehmen. Lag sie doch nicht irgendwo weitab im Osten, sondern gerade einmal 200 Kilometer auf der Küstenstraße von der Hauptstadt Tripolis entfernt. Misrata war das Symbol dafür, dass dies eben nicht ein „Krieg des Osten gegen den Westen Libyens“ war, son-dern der Auf-stand der grossen Mehrheit der Libyer gegen die Diktatur.

 

 

Weitere 200 Kilometer entfernt von Misrata, liegt Sirte, die Heimatstadt Ghadhafis, der Ort, wo er zuletzt Zuflucht gesucht hatte, gefasst und umgebracht wurde. Unter seiner Herrschaft eine der reichsten und schönsten Städte Libyens. Sie wurde ausgerechnet von den kampferprobten Aufständischen-Milizen aus Misrata erobert, deren Stadt der Diktator wie keine andere in Libyen hatte in Trümmer schiessen lassen. Die Kämpfer aus Misrata nahmen grausame Rache. Sirte wirkte, als ich Anfang November, kurz nach seiner Einnahme durch die Rebellen dort eintraf, noch zerstörter als Misrata.


Wir erreichten die Stadt am Abend. Am Morgen lag noch Rauch über manchen Häusern. Geborstene Wasserleitungen hatten ganze Strassen in Lagunen verwandelt, in denen sich die Ruinen der zerschossenen Gebäude im Sonnenlicht spiegelten. Ein „Venedig des Schreckens“, ging es mir durch den Kopf, als ich vor diesem Vexierbild aus Ästhetik und Gewalt stand.



Lebenszeichen, Menschen

inmitten von Trümmern, Wüste, Bürgerkrieg

Das Inferno des Krieges

Manchmal ist es erst die Verfremdung eines Bildes,

die dem Horror der Realität am nächsten kommt.


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