BOLIVIEN - Ursprüngliches Südamerika





















 

  BOLIVIEN



URSPRÜNGLICHES

S Ü D A M E R I K A

Es sind die oft archaisch anmutenden Gesichter,

in die bittere Erfahrung tiefe Furchen gezeichnet hat. Armut, vor allem aber auch die Marginalisierung einer an den Rand der Gesellschaft gedrängten Urbevölkerung, die am wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben kaum teilnimmt. Aymara, Quechua, Gurani, fast zwei Drittel der Bolivianer sind Indigenas, also direkten indigenen Ursprungs. Die meisten von ihnen leben in tiefer Armut. Ihre Gesichter sind der prägendste Eindruck in meiner Erinnerung an Bolivien. Sie vor allem spiegeln dieses Land wider. Ernste, eindrucksvolle Gesichter, die Jahrhunderte überspannen.



Auch das mittägliche Schneetreiben

hält die Menschen hier nicht davon ab,

ihren Heiligen den angebrachten

 Respekt zu zollen und

die Feste ihnen zu Ehren

 zu feiern, wie sie fallen.

In einem grauen Dorf am Wegrand gerate ich innerhalb nur weniger Tage schon wieder in ein Fest. Der Tag ist nasskalt und grau. Trotzdem wird Musik gemacht. Eine wehmütig klingende Musik, die einstimmt auf dieses scheinbar aus der Zeit gefallene, so ursprüngliche Land. Und es wird getrun-ken, viel getrunken. Meist billiger, Flugzeugbenzin ähnlicher Alkohol, der ziemlich verheerend in seiner Wirkung ist.


Stärker als jedes andere Land Lateinamerikas, das ich kenne,


ist Bolivien geprägt von seiner indianischen Bevölke-rung. Auch wenn numerisch die Zahl der indigenen Bevölkerung im benachbarten Peru größer ist.


Egal, ob im Landesinnern oder in der hochgelegenen Metropole La Paz . Aber je weiter entfernt von den grossen Städten, umso stärker wird dieser Eindruck natürlich, weil das Leben hier einfacher, ärmlicher, rückständiger ist.

Sonntags findet in

San Pedro de Montalván de Tarabuco

auf 3300 Metern Höhe ein Markt statt,

wie kein anderer.

Ein Markt, der hervorsticht durch die Tradition der „Cascos“, der "spanischen Helme", die viele der Männer hier als Kopf-bedeckung tragen. Es ist ein merkwürdiges Bild, sie mit ihren aus Leder und Filz gefertigten Nachbildungen der Helme der Konquistadoren zu sehen, der europäischen Eroberer, die ihre Vorfahren grausam versklavten und ihrer Bodenschätze be-raubten. Es ist, als tauche man ein in eine längst vergangene Welt. Eine Welt, in der die indianische Tradition mit den Schatten der fremden, übermächtigen Eindringlinge ringt.

Als trügen sie noch immer die Last jener barbarischen Europäer, die den Anspruch erhoben, ihnen, den "primitiven Indios" die Zivilisation zu bringen. Die Minen der vorwiegend alten Männer und Frauen wirken hier noch düsterer als dort, wo normalerweise bunte Stoffmützen der Männer und die rundliche Silhouette der Frauen mit ihren dicken Röcken, Tüchern und Bowler-Hüten, unter denen ein paar schwarze Zöpfe hervorschauen, ein eher farbenfrohes, folkloristisches Bild vermitteln. Ich schaue fasziniert auf die wuchtigen Portraits von Menschen, die verarmt und vergessen, die Geschichte und den Stolz ihrer Völker im Gesicht tragen.

Schon die Anreise nach Bolivien ist überwältigend

im wahrsten Sinne des Wortes.

In Miami, Drehkreuz für die meisten Flüge nach Südamerika, besteige ich eine betagte Boeing 727 der Flug-gesellschaft „Lloyd Aero Boliviana“. Das Gepäckfach oberhalb der Sitze noch althergebracht offen wie in Bussen und Bahn. Nach ein paar Tausend Kilometern entlang der Anden-Kordilliere mit ihren Dutzenden schneebe-deckter Sechstausender bis zur verrückten Zwischenlandung in Santa Cruz de la Sierra, der Wirtschafts-metropole im Flachland Boliviens auf 400 Metern. Nur, um eine knappe halbe Stunde später auf über 4.000 Metern in El Alto, dem Flughafen von La Paz wieder ausgespuckt zu werden.


Der "Andenstaat" beindruckt nicht nur durch seine bis heute prägende indianische Geschichte. Seine Gebirge und Tiere sind wie ein Fenster in eine andere Welt. Von den Flamingos vor schneebedeckten Bergen bis zu den bizarren Felsfiguren, die Wind und Wetter in Boliviens Hochebenen in Jahrhunderten geformt haben. Und noch heute verbinden schwindelerregende Serpentinen Täler und ganze Regionen. Bessere Eselspfade, auf denen sich schwere LKW an steilen Abhängen entlang die Berge hinaufschrauben.



Den flächenmäßig größten Teil des "Andenstaats" macht erstaunlicherweise das Tiefland aus mit sei-nen dünn besiedelten Savannen, dem Amazonien Boliviens mit seinen Flüssen und Regenwäldern. Die Flussdamp-fer erinnern ein wenig an "Fitzcarraldo" in diesem eher ungewohnten Bolivien. Mich lockten dort die alten Jesuiten-Missionen wie San Ignacio, San Javier, Con-cepción. Einzigartige Zeugen einer seltenen, huma-neren Begegnung zwischen europäischen Eroberern und der Urbevöl-kerung Südamerikas. 



Auch in den Jesuiten-Missionen mussten sich die Indios Lebensformen und Glauben der weißen Herren unter-werfen. Doch nicht als Arbeitssklaven wie sonst. In den Missionen der Jesuiten wurden neben dem Spanisch der Eroberer auch die Sprachen der indianischen Urbevöl-kerung gesprochen. Ein Recht, dass selbst heute noch den meisten Idigenas Lateinamerikas verweigert wird.


Die "Eingeborenen", die "Indios" wurden als schöpferische Wesen behandelt und ausgebildet. Sie musizierten, übten künstlerisches Handwerk aus. In den Werkstätten von Concepción ist diese Atmosphäre noch spürbar. Es wird die



alte Kunst der Holzschnitzerei gepflegt, in einer stillen Friedlichkeit, als würden hier wirklich Heilige geschaffen.


Jahrhunderte alte Figuren, manche von Feuchtigkeit und Termiten gezeichnet, dienen als Vorbilder des ernsten, aber auch unbeschwerten Schaffens der Holzschnitzer von Concepción. Was sie da kunstvoll nachbilden, ist die Arbeit ihrer Vorfahren aus der Blütezeit der Jesuiten-Missionen. Einer Blüte, die abrupt endete, als die spanische Krone die Jesuiten auf Verlangen der weißen Großgrundbesitzer aus ihren Missionen vertrieb.


Bolivien steht und fällt

mit dem Bergbau.

Einst war die Bergarbeiterstadt Potosí ein Begriff in der ganzen Welt. Der Reichtum Europas, das wert-volle Metall, das die Silberflotten Spaniens nach Eu-ropa schafften, stammte aus den Stollen des Cerro Rico, dem sagenhaften "Reichen Berg", an dessen Fuß in 4000 Metern Höhe Potosí liegt. Damals, am Ende des 16. Jahrhunderts, mit über 100.000 Ein-wohnern die größte Stadt Lateinamerikas, in der gewaltige hölzerne Räderwerke für Spaniens Krone Silbertaler prägten. Zur Arbeit in den Stollen holten die Spanier sich die Indios, schon deshalb, weil Euro-päern in 4000 oder 5000 Metern Höhe zu schnell die Puste ausging.


Ein Erbe der Kolonialzeit, das die Indio-Bevölkerung auch später an den Bergbau kettete. Als Arbeiter in den Gruben bolivianischer Zinn-Barone. Und heute nach dem Niedergang der Bergbauindustrie als arme Teufel, die versuchen, sich und ihre Familien aus der Arbeit in den traurigen Überresten und Trümmern jener Minen und Zechen zu ernähren.


Selbst unserem robusten Lastenesel vom Typ Toyo-ta Landcruiser stockt oben am Berg in 5000 Metern der Atem. Und mir erst recht, als ich mich dort in ge-bückter Haltung einen Kilometer weit in einen der uralten Stollen  aus der Zeit der spanischen Konquis-




tadoren vorarbeite, um drinnen im hintersten Win-kel den „Tio“, den „guten Onkel“ der Bergleute zu suchen. Den Schutzpatron einer jeden Mine, halb Teufel, halb Kumpel, der mit Coca-Blättern, Schnaps oder auch einer Zigarette bei Laune gehalten wird, damit nichts schief geht im Berg. Raucht er sie zu-ende, ist das ein gutes Zeichen.


Der Niedergang der traditionellen Bergbauindustrie in Folge des Zusammenbruchs des Zinn-Preise auf den Weltmärkten hat Potosí zu einem ärmlichen Museum vergangener Größe werden lassen. Heute ist der Abbau unrentabel. Bergarbeiter-Kooperati-ven schlagen hier weiter winzige Mengen silber- und zinnhaltiges Gestein aus dem Berg. Die einzige Möglichkeit für sie, hier halbwegs mit Würde zu überleben - ohne Betteln gehen zu müssen. 


Das gilt besonders in noch ärmeren, herunterge-kommenen Bergarbeitersiedlungen wie 
Llallagua, in denen die Nachfahren der einstmals stolzen Herren dieses Landes auf verlorenem Posten gegen die Zeit und den Abstieg in die totale Armut arbeiten. Die Ärmsten der Armen unter ihnen: die mittellosen Witwen der Bergarbeiter, die "Trümmerfrauen" des bolivianischen Bergbaus.


                                         SALZ

Eines der faszinierendsten Naturerlebnisse ist, auf dem strahlenden Weiß des größten Salzsees der Welt, dem Salar de Uyuni zu stehen. Wie ein riesiges weißes Meer erstreckt er sich über 12.000 Quadratkilometer auf 3.660 Metern Höhe. Die Welt auf ein Minimum reduzierend: Himmel und Salz.


Mitten im gleißenden Weiß ragen Inseln wie die Isla Incahuasi aus dem Salz. Übersät von Kakteen, einige von ihnen bis zu tausend Jahre alt, so alt, dass sie in die Zeit der Vorfahren der heutigen Indios, die Zeit etwa der Herrschaft der Aymara zurückreichen. Und das unter ziemlich rauhen Bedingungen bei Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht von bis zu 50 Grad Ceslius.


Und noch ein "Meer" gehört zur faszinierenden Natur Boliviens. Kein See in knapp 4000 Metern Höhe weltweit ist so groß wie der Titicacasee. In den Mythen der Inka und Aymara die Wiege der Menschheit. Ein Hauch davon vermittelt die hier und da noch gepflegte Tradition des Baus von Schilfbooten. 



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