GAZA - Terror gegen Terror



Ich habe während des Gaza-Konflikts 2014 von beiden Seiten berichtet, aus Israel und Gaza. Die Szenen, die ich damals neben meiner Arbeit als Fernsehkorrespondent photographiert habe, zeigen die massive Zerstörung der zivilen Infrastruktur in dem schmalen Küstenstreifen, der durch Israel und Ägypten hermetisch abgeschnitten ist von der Außenwelt, ohne frei passierbare Straßen-, Schiffs- oder Flugverbindung nach draußen. Ein völlig unverhältnismäßiges Ausmaß an Opfern und zusammengeschossenem Wohnraum, auch im Vergleich zum folgenden Gaza-Konflikt 2021.


Die Aufnahmen entstanden während mehrerer Feuerpausen im August 2014 in Shejaiyah, einem vom israelischen Militär völlig zerstörten Teil von Gaza-Stadt, in Beit Hanoun im Norden des Gazastreifens und in Khuza’a, einem Außenbezirk von Khan Yunis, im Süden von Gaza, in dem heftige Gefechte zwischen Israelis und Palästinensern stattgefunden haben.


Im Gegensatz zu den anderen besetzten palästinensischen Gebieten hat Israel den Gazastreifen vor Jahren geräumt, ohne allerdings die Menschen dort - zum großen Teil Flüchtlinge aus dem Gebiet des heutigen Israel - in die Lage zu versetzen, Strukturen einer zivilen Verwaltung aufzubauen. Radikale Palästinenser-Organisationen wie Hamas haben die Gelegenheit ergriffen und ihr Regime errichtet, nachdem Israel einen Zaun um Gaza gezogen hatte, um es sich selbst zu überlassen. Was folgte sind bisher vier Kriege, die den Namen des schmalen Küstenstreifen tragen.



Der erste "Gaza-Krieg" fand 2008 statt. Vier Jahre später folgte 2012 der nächste. Nur zwei Jahre danach 2014 der dritte. 2021 der bisher letzte. Die in Gaza herrschende Hamas verfügt 2021 über größere Feuerkraft als in der Vergangenheit, schiesst tausende von Raketen nach Israel, die allein durch ihre große Zahl das israelische Raketenabwehrsystem überfordern. Deshalb treffen auch diesmal mehr Raketen Israel, richten Zerstörung an, töten Menschen.

 

Was folgt, enstpricht dem gewohnten Vorgehen der israelischen Streitkräfte. Sie schlagen mit ihrer gewaltigen Übermacht zurück, einem Vielfachen an Feuerkraft und moderner Waffentechnik - mal mehr, mal weniger präzise auf ihr Ziel gerichtet. Die Zerstörung und Zahl der Getöteten und Verletzten auf Seiten der palästinensischen Bevölkerung ist enorm. Das Prinzip Israels, jeden Angriff, jeden An-schlag von palästinensischer Seite zehnfach zu vergelten, bedeutet auch in diesem Fall, dass für jeden getöteten Israeli mindestens zehn Palästinenser sterben.

 


Zentrum von Khuza'a im Bezirk Khan Yunis (im Süden von Gaza) mit dem Wasserturm und der zerstörten Moschee, 2014

 

 „Wir greifen keine Zivilisten an. Israel greift militärische Ziele an.“

                                                                                                                                                                                                                                                                                Benjamin Netanyahu, israelischer Ministerpräsident am 07.08.2014                                               

Gaza und der

Ich verabscheue das rassistisch-antijüdische Geschrei von Hamas, ganz zu schwei-gen vom antisemitischen Bodensatz in Deutschland. Aber ich ertrage auch die offizielle Phrase vom "Selbstverteidigungsrecht" Israels in diesem Fall nicht, das seinerseits Tag für Tag aus purem Eigennutz Palästinenser enteignet, von ihrem Land vertreibt und auf sie schießen lässt.


Deshalb hier ein paar Bemerkungen, um mich von den Apologeten beider Seiten zu distanzieren, von denjenigen, die den Konflikt nutzen, um ihr rassistisch-anti-semitisches Süppchen zu kochen und denjenigen, die die militärische Großmacht Israel einseitig zum unschuldigen "David", zum Opfer stilisieren.


Niemand hat das Recht, mit Raketen auf zivile Ziele zu schießen. Das Hamas-Regime in Gaza nicht und die israelische Regierung auch nicht. Das aber tun beide. Hamas mit ihren primitiveren Mitteln auf Teufel komm raus. Und die "chirurgischen Schläge" israelischer Raketen und Artillerie gegen angeblich klar ausgemachte "Hamas-Ziele" im dicht bewohnten Häusergewirr Gazas sind ein Märchen. Beides sind eklatante Verletzungen der Menschenrechte. Und hinter beidem steckt zynisches Machtkalkül.

 

Die Hamas-Machthaber in Gaza wissen, daß sie mit ihren Raketenangriffen viele Palästinenser in ihrer Ohnmacht und Wut gegenüber Israel hinter sich versam-meln können. Und die israelische Regierung muß wissen, daß der tagtägliche Diebstahl palästinensischen Landes durch jüdische Siedler in den besetzten Gebieten den Boden bereitet, der die Wut, Ohnmacht und Verzweiflung hervor-bringt, die von Kräften wie Hamas für ihre Politik genutzt wird.

 

Palästinakonflikt

Die Friedensbemühungen in Israel/ Palästina werden seit Jahren von beiden Seiten ad absurdum geführt. Durch eine korrupte palästinensische PLO-Führung in der Westbank, die sich mit dem Status quo abgefunden hat, und - radikaler als die PLO - durch die Hamas-Führung in Gaza mit ihren Terrorstrategien gegen Israel. Vor allem aber durch eine israelische Regierung, die sich dank der Überlegenheit ihres Militärs ebenfalls mit dem Status quo abgefunden zu haben scheint und diesen durch ihr Un-rechtsregime in den besetzten Gebieten Stück für Stück zu ihrem Vorteil zu verän-dern sucht.

Vorbei die Zeiten, in denen die Welt bzw. die USA durch Androhung von Sanktionen beide Seiten zu den Friedensverhandlungen in Oslo gezwungen hatten. In Israel hat die Mehrheit der Menschen ihren Glauben an einen Friedensprozess verloren und verspürt auch angesichts massiver wirtschaftlicher Probleme kaum Lust, sich weiter dafür zu engagieren.

 

Umso mehr Respekt verdienen jüdische Organisationen wie B'Tselem oder etwa die Handvoll Resereve-Offiziere und Soldaten der Reserve der Geheimdienst-Eliteeinheit 8200, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Krieg und der daraus resultierenden Kritik der Politik Israels den Dienst verweigern.

 

Was für ein Mut, was für eine Charakterstärke, in einem von Feinden umgebenen, bedrohten Land, die Stimme für die Rechte dieser vermeintlichen Feinde zu erheben! Wenn wir von Israel als der einzigen Demokratie im Nahen Osten sprechen, dann vor allem, weil es dort Menschen gibt, die so Großartiges leisten - trotz aller Versuche ihrer Regierung, sie daran zu hindern.

  Momente einer Normalität

Ein paar wenige Bilder von früheren Besuchen, aus den Jahren 2012 und 2013, sind dabei, um nicht nur die blanke Zerstörung zu zeigen, sondern ein paar Momente aus dem "normalen" Leben in Gaza-Stadt und Rafah, an der Grenze zu Ägypten, wo jahrelang durch unterirdische Tunnel Waren aller Art, Lebensmittel, Baumate-rial, aber auch Waffen ins abgesperrte Gaza geschmuggelt worden sind.

        Zum Schluss ein paar Gedanken über die Schwierigkeiten, als Journalist mit diesem Krieg umzugehen.


       Gaza: inmitten von Parolen und Tränen




Der Krieg in Gaza ist auch ein Kampf um Worte und die Deutungshoheit über sie. Da ist die Frage: ist Hamas nichts anderes als eine „Terror-organisation“, wie Israels Regierung sagt? Der Nahost-Konflikt stellt uns Journalisten vor ein Dilemma. 


Die palästinensische Seite macht es uns relativ einfach mit ihrer bizarr wirkenden grossmäuligen Rhetorik. Sie spricht in dem aussichtslosen Kampf von „Sieg“ und ist doch noch nicht einmal ein David gegenüber dem gewaltigen militärischen Goliath Israel. Die radikalen Palästinenser fügen den Israelis zwar in der Tat höhere Verluste zu als in allen früheren Waffengängen. Aber Gaza wird nicht zum „Friedhof für israelische Soldaten“, wie Hamas großsprecherisch verkündet. Es ist vielmehr zu einem Friedhof für dreißigmal so viele Palästi-nenser geworden.

 

Geradezu verstörend geschmacklos wirken auf uns Europäer die martialischen Siegesparaden vermummter Hamas- und Islamic Jihad-Kämpfer mit ihrem Jubel über jeden getöteten Israeli. Da will man am liebsten gar nicht mehr hinschauen, geschweige denn sich die Mühe machen, nach dem Sinn solcher Veranstaltungen zu fragen und da-nach, was in diesen Leuten vorgeht. Es sind eben Terroristen.


Die israelische Seite hat es da leichter, unser Ver-ständnis zu finden. Nicht nur, weil Israel, unser "Heiliges Land", seine Menschen mit ihrer Religion und Kultur uns näher sind. Seine Public Relations ist moderner, klüger, einfach so, wie wir es ge-wohnt sind. Israels (damaliger) Premierminister Benjamin Netanyahu - in den USA aufgewachsen und Absolvent der bedeutendsten Elitehochschu-len Amerikas - ist ganz der Typ westlicher Polit-Profi. Er und sein Pressesprecher verstehen es blind, keinen Satz von sich zu geben, in dem nicht mindestens einmal Begriffe vorkommen wie: „Israels Recht auf Selbstverteidigung“, „Hamas-Terroristen“, „Sicherheit für Israel“ oder „die Hamas benutzt menschliche Schutzschilde“. Wenn sie nicht gerade den Konflikt mit den Palästinen-sern um das Land totschweigen und aus weit-gehend taktischen Gründen den Iran zum Haupt-problem für die Sicherheit Israels hochstilisieren.


Als um Wahrheit und Fairness bemühter Journalist bereiten einem die Parolen und einfachen Schuld-zuweisungen beider Seiten, Israels und der Paläs-tinenser Bauchschmerzen.


Unser Dilemma ist: wir stehen, wenn es um sein Existenzrecht geht, hinter Israel, teilen aber nicht unbedingt die Politik und die Methoden Israels sei-

nen palästinensischen „Nachbarn“ gegenüber. Daher haben wir eine Formel gefunden, beiden Seiten irgendwie gerecht zu werden. Wir berichten bei Israel über dessen gute Gründe, bei den Palästinensern über ihre Not und ihr Elend. Als Reporter, als Journalisten bleiben wir damit ausgewogen: der einen Seite die Argumente, der anderen unser Mitleid.


Ein klares Bild der Lage entsteht dabei nicht. Keines, das beiden Seiten, Israelis und Palästinensern, ge-recht würde, beide mit ihren berechtigten Ansprü-chen ernst nimmt als Konfliktparteien, die eine dauerhafte Lösung suchen. Dem stehen schon die gängigen Denk- und Rechtfertigungsmuster samt der dazugehörigen propagandistischen Worthülsen im Weg. Der Verantwortung, diese immer wieder kritisch zu hinterfragen, müssen wir uns als Journalisten stellen.

 

Nehmen wir das Beispiel der israelischen Sprach-regelung von den „Hamas-Terroristen“, der sich Poli-tiker und Medien in aller Welt bedenkenlos an-schließen. Nun ist Hamas in der Tat in vielem was sie tut eine terroristische Vereinigung. Aber sie darauf zu reduzieren, heisst, sie als möglichen Gesprächspart-ner auszuschließen bzw. mit ihr aus der Position des Polizisten wie mit einem Kriminellen zu sprechen. Also de facto, nicht zu verhandeln, sondern lediglich Bedingungen zu stellen. 


Hamas, das ist aber nicht nur der blanke Terrorismus. Hamas ist auch eine politisch-islamistische Bewe-gung, die 2006 demokratische Wahlen in Palästina gewann und unter den ohnmächtigen Palästinensern mit dem bewaffneten Widerstand gegen Israel sogar immer wieder verloren gegangenes Ansehen zurück-zugewinnen vermag. Das macht sie nicht besser, aber doch zu mehr als nur einer dahergelaufenen „Bande von Terroristen“.

 

Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen, wie kurzsichtig so eine Banalisierung ist. Auch die irische „IRA“ war für die britische Regierung und die USA eine Terrororganisation. Aber trotzdem auch ein Ge-sprächspartner, und in zähen Verhandlungen gelang es Ameri-kanern und Briten, einen bisher dauerhaften Frieden mit der IRA zu schliessen. 


Die heute als gemäßigt geltende PLO im palästinensi-schen Westjordanland, die mit Israel in Sicherheitsfra-gen zusammenarbeitet, war früher ein terroristisches Schreckgespenst. Und auch der ehemalige israelische Ministerpräsident Menachem Begin war ein Terrorist, der Sprengstoffanschläge gegen britische Soldaten und arabische Zivilisten verübte und an der Ent-führung und Ermordung britischer Soldaten beteiligt war. Ein makabres Detail aus der schon langen Geschichte dieses Konflikts, bedenkt man die Angst der Israelis heute, radikale Palästinenser könnten einen ihrer Soldaten entführen.



Noch ein Begriff muss in diesem Zusammen-hang genauer betrachtet werden: die „mensch-lichen Schutzschilde“, als die die Hamas-Terroristen die Bevölkerung Gazas missbrau-chen. Auch dieser Vorwurf ist nicht grundlos. Aber seine gebetsmühlenartige Wiederholung durch die israelische Regierung kann nicht über einen wichtigen Aspekt hinwegtäuschen: Es gehören immer zwei dazu: derjenige, der sich hinter Zivilisten versteckt, und der, der dann eben auf beide, Hamas-Kämpfer und Zivilisten, schießt. Der grosse Blutzoll der palästinensi-schen Zivilbevölkerung und die bei weitem nicht so "chirurgischen" Angriffe des israelischen Militärs sind ein trauriger Beleg dafür. (Auch Israel spart und setzt bei "normalem" Beschuss häufig stärker streuende Artillerie statt extrem teurer Präzisionsgeschosse ein.) 

 

Die Tatsache, dass die Hamas die Tunnel, um ihre Kämpfer nach nach Israel einzuschleusen, nicht von den frei einsehbaren offenen Flächen Gazas aus, also unter den Augen der israelischen Über-wachungs- und Kampfdrohnen gräbt, sondern im Schutz von Gebäuden, neben Schulen und Kran-kenhäusern, verwundert kaum. Auch hier fragt sich allerdings, ob sich daraus das Recht ableiten lässt, zehntausende von Bewohnern Gazas auf-zufordern, ihre Häuser, ja ganze Stadtviertel zu verlassen, um diese dann zu zerstören.

 

Es ist nicht leicht, mit "Terroristen" zu ver-handeln, wenn man gleichzeitig das Ziel ihrer Raketen und Anschläge ist. In Israel sieht man in den Angriffen radikaler Palästinenser nur den Beweis ihres unversöhnlichen abgrundtiefen Hasses auf „die Juden“. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die verbale und gewalttätige Radikalität der Hamas lässt sich kaum denken ohne das Gefühl tiefer Hilflosigkeit und furcht-barer, ohnmächtiger Wut über Unrecht und ständige Demütigungen, die Palästinenser von israelischer Seite erfahren. Darin "schwimmt" Hamas.


Israelis wie Palästinenser haben letztlich keine andere Wahl, sie müssen lernen, über diesen jahr-zehntelangen blutigen Schatten zu springen und sich gegenseitig zu akzeptieren: die Existenz des Staates Israel ebenso, wie das Existenzrecht des palästinensischen Volkes in einem eigenen, unab-hängigen Staat. Ohne die prinzipielle An-erkennung der Rechte des jeweils anderen wird nie Frieden herrschen, in Israel ebensowenig wie um Israel herum. Die Maximalforderungen - die "Zerstörung Israels" auf der einen, ebenso wie der Anspruch: "Palästina hat es nie gegeben und wird es auch nie geben" auf der anderen Seite -, sie sind beide völlig unakzeptabel.



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